Beziehung oder Partnerschaft?
Tragen Sie nur Schuhe, die zu Ihnen passen!
Ob zu zweit, zu dritt oder in einer Gruppe. Egal welche Form der Beziehung wir wählen, sie sollte zu uns passen. Oder tragen Sie etwa Schuhe, die Ihnen nicht passen? Manche von uns finden sofort ihren passenden Schuh im Leben, manche müssen einige probieren bis der Richtige dabei ist.
Wenn der Schuh drückt
Letzte Woche lernte ich eine sehr nette Frau, Ende Vierzig, kennen, die ich zum Thema Beziehungen interviewte. Wir sprachen über ihre unterschiedlichen Beziehungen und was sie alles getan hatte, um ihren Verflossenen gerecht zu werden.
Der eine wollte sie unbedingt zur Sportskanone machen. Das sei wichtig für die Figur und die Gesundheit. Auf keinen Fall dürfe sie sich in ihrem Alter hängen lassen. Genutzt hat es nicht viel. Nach vielen schweißtreibenden Jogging-Läufen bei Wind und Wetter verließ er sie trotzdem. Angst vor einer neuen Bindung.
Der Nächste war bereits zweimal geschieden. Ihm war es wichtig, sie zur besten Freundin seiner Kinder zu machen. Dieses Mal sollte alles passen, meinte er. Das könne doch nicht so schwierig sein. Doch, ist es aber. Denn wenn die Kinder keine Lust auf Papas Neue haben, nutzen auch die ganzen Bemühungen nichts.
Mittlerweile hat sie die Suche nach ihrem Traummann aufgegeben. „Den gibt’s sowieso nur im Märchen oder im Film“, sagt sie heute. Jetzt sucht sie nach einem Partner, der sie so akzeptiert, wie sie ist. „Denn auch ich will keine Traumfrau sein und mich verbiegen müssen. Das ist mir zu anstrengend“, fügt sie hinzu.
Probieren geht über Studieren
Besonders geholfen hat ihr die offene Beziehung, in der sie zurzeit lebt. Er fordert nichts von ihr und sie nichts von ihm. Und das ist auch gut so. Das Spannende daran: Sie kann mit ihrem neuen Partner über ihre Dates mit anderen Männern sprechen ohne Angst haben zu müssen. Eine besondere Erfahrung.
„Keine Eifersucht, keine verbalen Übergriffe. Alles darf so sein, wie es ist. Dadurch habe ich viel über mich selbst erfahren“, erzählt sie mir. „Ich weiß immer besser, was und wie ich es will und lerne dabei meine eigenen Bedürfnisse kennen. Das hilft mir, selbstbewusster zu werden und vor allem auch Nein sagen zu können.“
Einfach hat sie es sich mit dieser Beziehungsvariante sicherlich nicht gemacht. Was nach außen locker aussieht, erfordert in der Realität viel Geduld. Besonders an Tagen, an denen es ihr nicht so gut geht, ist der Prozess zwischen Bindung und Loslassen schwer. Da vermisst sie ihn.
„Wenn er nach einem tollen Wochenende wieder nach Hause fährt und ich mich auf das nächste Erlebnis mit ihm freue, dann frage ich mich schon, warum ich so etwas nicht auch im festen Beziehungsmodell erleben darf“, offenbart sie mir. Ein bisschen Wehmut liegt in ihrer Stimme.
Sag niemals nie
Offene Beziehungen sind nicht für jedermann oder jede Frau geeignet. Das ist klar. Als ich mit anderen Paaren über diese Unterhaltung sprach, kamen unterschiedliche Ansichten zu tage.
Die Männer beteiligten sich angeregt an der Diskussion. Sie wogen verschiedene Möglichkeiten ab und schlossen ihr Fazit daraus. Zumindest ließen sie den Gedanken über diese Art der Beziehung zu. Bei den Frauen war es völlig anders. Sie lehnten einstimmig ab.
Empört und geschockt begannen sie gemeinsam, alle Contras aufzuzählen. Die Männer, die eher interessiert das Thema angingen, amüsierten sich über diese scheinbare Moral der Frauen. Bei jedem Pro der Männer stieg die Eifersucht der Frauen.
Pro & Contra
Kommen wir zurück zu meiner Interviewpartnerin. Sie kennt die Pros & Contras einer solchen Liaison ganz genau. „Eine offene Beziehung ist gefühlsmäßig nichts anderes als eine feste Beziehung. Verlustängste und Unsicherheiten finden sich auch hier“, resümiert sie.
Im Moment genießt sie ihre Unabhängigkeit. Keine Verpflichtungen, die sie in den vergangenen Beziehungen immer wieder erdrückten. Einfach ihre Wünsche und Bedürfnisse – auch auf sexueller Ebene – leben zu können, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Und vor allem auch mal Nein zu sagen, wenn ihr etwas nicht passt.
Einziger wirklicher Wermutstropfen: Die offene Beziehung eines Mannes wird von der Gesellschaft anerkannt. Viele Männer bewundern sie sogar. Bei Frauen sieht das anders aus. Sie werden von der Gesellschaft eher abgelehnt. Sogar von den Männern, die selbst offene Beziehungen suchen.
Hier hat unsere Gesellschaft sicherlich noch Nachholbedarf. Wir akzeptieren so vieles, sind tolerant und stets um Integration bemüht. Wovor haben wir also Angst? Dass diese Frauen unsere Männer wegnehmen? Oder ist es vielleicht sogar ein bisschen Neid, so frei und unbeschwert seinen Bedürfnissen nachzukommen?
Am Ende unseres Interviews sagt sie gelassen: „Wissen Sie Frau Natale-Weber, ich habe endlich gelernt, mir nicht mehr jeden Schuh anziehen zu müssen. Ich nehme mir nur noch die Schuhe, die zu mir passen.“ Dabei hebt sie ihr Prosecco Glas und prostet mir selbstbewusst zu.
Als ich zu meinem Auto zurück laufe, geht mir dieser Satz mit den Schuhen nicht mehr aus dem Kopf. Ich denke darüber nach, wie viele Paare sich wohl in steife Korsetts einer Partnerschaft zwängen, bloß um nicht alleine zu sein.
Herzliche Grüße
Ihre Birgit Natale-Weber
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